Trainingseffekte

Dieses Kapitel vermittelt einen Einblick in die durch Training ausgelösten Anpassungsvorgänge im Körper. Im allgemeinen unterscheidet man in der Trainingslehre zwischen den verschiedenen motorischen Fähigkeiten Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Koordination. Viele Übungen im Calisthenicstraining erfordern ein hohes Maß an Kraft und Koordination. Infolgedessen werden beim Training auch diese beiden Fähigkeiten in besonderem Maße trainiert und verbessert.

Die gezielte Entwicklung der motorischen Fähigkeit Kraft und die gleichzeitige Verbesserung der Koordination sind entscheidend, um im Calisthenics effektive Fortschritte zu erzielen und vielseitige Bewegungsfähigkeiten zu entwickeln.

 

Koordination

Die Koordination ist von entscheidender Bedeutung im Calisthenics, da viele Übungen wie beispielsweise Handstand, Muscle-Up, Planche, Frontlever als auch Übungskombinationen etc. eine präzise Ausführung erfordern, bei der das Zentralnervensystem und die Skelettmuskulatur harmonisch zusammenarbeiten müssen.

Die besonders verbesserten koordinativen Fähigkeiten betreffen die Differenzierungsfähigkeit (Feinabstimmung einzelner Bewegungsphasen und Teilkörperbewegungen), Orientiergunsfähigkeit (regulieren und bestimmen der Lage und Bewegung des Körpers in Raum und Zeit in Bezug auf seine Umgebung) und die Gleichgewichtsfähigkeit (Fähigkeit den Körper in Ruhe als auch während und nach Bewegungshandlungen im Gleichgewichtszustand zu halten).

 

Kraft

Darüber hinaus sind die verschiedenen Aspekte der motorischen Fähigkeit Kraft von großer Bedeutung. Eine gut trainierte Schnellkraft ermöglicht es, explosive Bewegungen wie Muscle-Ups auszuführen.

Viele der besonders anspruchsvollen Übungen erfordern eine gute Maximalkraft. Diese stellt die höchstmögliche Kraft dar, die gegen einen Widerstand (beim Calisthenics meist das eigene Körpergewicht) ausgeübt werden kann.

Die Kraftausdauer spielt eine Rolle bei Übungen mit hoher Wiederholungszahl bzw. längerer Übungskombination und ist wichtig für die Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit über längere Trainingseinheiten hinweg.

 

Muskuläre Anpassungsvorgänge

Mit welchen Anpassungsvorgängen der Körper auf einen Belastungsreiz reagiert, hängt von der Wahl des Belastungsgefüges einer Trainingseinheit und der Bewegungsausführung einer Übung ab.

Hypertrophie der Muskelfasern: Durch Training in Intensitätsbereichen von ca. 60-85%, was einem Wiederholungsbereich von 5 bis 15 entspricht und einer langsamen Bewegungsausführung, kommt es in der Erholungsphase zu einer Vergrößerung des Muskels durch Vermehrung von Aktin, Myosin und Titin in den Muskelzellen. Auch die Vergrößerung der Glykogen-, ATP-, und Kreatinphosphatspeicher tragen zur Verdickung des Muskels bei. Dieser Effekt wird auch bei statischem Krafttraining erreicht. Die Muskelhypertrophie trägt in starkem Maße zur Erhöhung der Maximalkraft bei.

Intramuskuläre Koordination: Durch Training in hohen Intensitätsbereichen von ca. 80-100%, was einem Wiederholungsbereich von 1 bis 6 entspricht und einer langsamen oder auch zügigen Bewegungsausführung, kommt es zu einer verbesserten Koordination im Muskel und es erhöht sich der Anteil an rekrutierten Fasern. Dies bedeutet, dass bei der Muskelkontraktion eine höchstmögliche Zahl an Muskelfasern angesteuert werden. Auch das statische Krafttraining verbessert die intramuskuläre Koordination in besonders hohem Maße. Als Resultat ergibt sich ein hoher und schneller Kraftzuwachs.

Intermuskuläre Koordination: Bei der Ausführung von komplexen Bewegungen, die viele Muskelgruppen beanspruchen bzw. Übungen bei denen mehrere Gelenke beteiligt sind (compound exercises oder Mehrgelenkübungen) verbessert sich das Zusammenspiel der agonistisch und antagonistisch tätigen Muskeln. Es kommt zu einer Ökonomisierung der Bewegung. Das heißt die Kraft wird im Körper optimal übertragen und eingesetzt. Eine gute intermuskuläre Koordination zeigt sich in einer geschmeidigen und schönen Bewegungsausführung.

Kontraktionsgeschwindigkeit: Werden die Bewegungen zügig bzw. explosiv ausgeführt kommt es zu einer Verbesserung der Muskelkontraktionsgeschwindigkeit. Ursache ist die Umwandlung der Eigenschaften bestimmter Muskelfasern in die von schnell kontrahierenden FTG-Fasern.

Ermüdungswiderstandsfähigkeit: Durch Training in geringeren Intensitätsbereichen von 60%, was einem Wiederholungsbereich von 15 und mehr entspricht, kommt es in der Erholungsphase zur Ökonomisierung von Bewegungsabläufen und der Verbesserung verschiedener physiologischer Größen. Es vergrößern sich die Kreatinphosphat- und Glykogenspeicher sowie die Sauerstoff-Speicherung in der Muskelzelle. Auch die Enzymaktivität der Glykolyse verstärkt sich und es kommt zu einer Erhöhung der Anzahl und Größe von Mitochondrien. Ein weiterer Effekt ist die Verbesserung von Regulationsvorgängen wodurch eine schnellere Umschaltung zwischen Ruhe und Belastung möglich ist.

 

Weitere Anpassungsvorgänge

Regelmäßiges Krafttraining kann dazu beitragen, die Körperhaltung zu verbessern. Es stärkt nicht nur die Muskeln und erhöht die Knochenmasse [1] sondern verbessert auch die Festigkeitseigenschaften von Sehnen [2][3] und verringert damit das Risiko von Verletzungen. Bewegung ist zudem ein äußerst wirksames Mittel zur Vorbeugung und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes und metabolischem Syndrom [4].

Darüber hinaus hat Training einen erheblichen Einfluss auf den Stoffwechsel [5] und kann den Blutdruck senken [6]. Außerdem hat der Kraftsport Auswirkungen auf die mentale Gesundheit. Das Training kann Angstzustände abbauen, Depressionen verbessern, Stress reduzieren als auch den Umgang mit Stresssituationen verbessern. Häufig wird mit Training ein verringertes subjektives Stressempfinden assoziiert, es stärkt das Selbstbewusstsein und hebt die Stimmung [4][7].

Zu den Hintergründen, wieso der Körper überhaupt auf Belastungsreize mit Anpassungsvorgängen reagiert, wird in den Allgemeinen Gesetzmäßigkeiten besprochen.

 

[1] Hong, A. R., & Kim, S. W. (2018). Effects of Resistance Exercise on Bone Health. Endocrinology and Metabolism, 33(4), 435.

[2] Minetto, M. A., Giannini, A., McConnell, R., Busso, C., & Massazza, G. (2019). Effects Of Exercise On Skeletal Muscles And Tendons. Current Opinion in Endocrine and Metabolic Research, 9, 90-95

[3] Svensson, R. B., Heinemeier, K. M., Couppé, C., Kjaer, M., & Magnusson, S. P. (2016). Effect of aging and exercise on the tendon. Journal of Applied Physiology, 121(6), 1353–1362.

[4] Knapen, J., Vancampfort, D., Moriën, Y., & Marchal, Y. (2014). Exercise therapy improves both mental and physical health in patients with major depression. Disability and Rehabilitation, 37(16), 1490–1495.

[5] Thyfault, J. P., & Bergouignan, A. (2020). Exercise and metabolic health: beyond skeletal muscle. Diabetologia., 63, 1464-1474

[6] Carpio-Rivera, E., Moncada-Jiménez, J., Salazar-Rojas, W., & Solera-Herrera, A. (2016). Acute Effects of Exercise on Blood Pressure: A Meta-Analytic Investigation. Arquivos Brasileiros de Cardiologia, 106(05)

[7] Mikkelsen, K., Stojanovska, L., Polenakovic, M., Bosevski, M., & Apostolopoulos, V. (2017). Exercise and mental health. Maturitas, 106, 48–56.

Friedmann, K. (2009). Trainingslehre. promos Verlag, Pfullingen, 2. Aufl., 61-93